Internationaler Forschungsverbund bestimmt drei Verlaufsformen der „akut dekompensierten Leberzirrhose“
FRANKFURT. Wenn
der Körper das allmähliche Versagen der Leber als Folge einer Leberzirrhose
nicht mehr ausgleichen kann, droht eine akute Dekompensation der Leberzirrhose.
In manchen Patienten entwickelt sich diese schnell weiter zu einem oft
tödlichen Akut-auf-chronischem Leberversagen, bei dem weitere Organe wie Niere oder
Gehirn versagen. Welche Patienten hier besonders
gefährdet sind, hat ein internationales Team von Forschenden unter Leitung von
Prof. Jonel Trebicka vom Universitätsklinikum Frankfurt in einer Studie
herausgefunden, die durch die Stiftung EF Clif gefördert wurde. Die
Wissenschaftler haben damit die Grundlage gelegt für die Entwicklung
präventiver Therapien zur Verhinderung eines Akut-auf-chronischen
Leberversagens. (Journal of Hepatology, DOI 10.1016/j.jhep.2020.06.013)
Unsere Leber hat viele Funktionen: Sie speichert Nährstoffe und
Vitamine, produziert Traubenzucker, Gerinnungsfaktoren und Hormone und baut
Giftstoffe, Medikamente und Alkohol ab. Durch chronisch starken Alkoholkonsum,
durch Viren oder andere Erkrankungen kann die Leber überlastet werden und
chronisch erkranken. Unbehandelt führt eine chronische Lebererkrankung im
Endstadium zu einer Leberzirrhose, bei der Lebergewebe in Bindegewebe
umgewandelt wird und die Leber ihre Aufgaben immer weniger erfüllen kann. Die
Folgen: Die Gerinnungsfähigkeit des Bluts wird eingeschränkt, giftige
Stoffwechselprodukte reichern sich an, die Leber wird nicht mehr richtig
durchblutet und der Blutdruck in der die Leber versorgenden Pfortader steigt.
Der Körper versucht, die Minderfunktionen der Leber auszugleichen.
So bilden sich zum Beispiel als Folge des erhöhten Pfortaderdrucks
Umgehungskreisläufe durch Venen von Speiseröhre, Magen und Darm, die sich zu
Krampfadern erweitern. Wenn mit fortschreitendem Krankheitsverlauf ein solcher
Ausgleich irgendwann nicht mehr möglich ist – Mediziner sprechen dann von einer
akuten Dekompensation der Leberzirrhose –, spitzt sich die Situation
lebensbedrohlich zu: Gewebsflüssigkeit (Aszites) sammelt sich in der Bauchhöhle,
es kommt zu bakteriellen Infektionen und zu inneren Blutungen etwa in der
Speiseröhre. Konzentrationsschwierigkeiten, Stimmungsschwankungen oder
Schläfrigkeit sind Anzeichen der Vergiftung des Gehirns (hepatische
Enzephalopathie), die bis zu einem Leberkoma führen kann.
Eine europaweite klinische Studie unter der Leitung von Prof.
Jonel Trebicka, die unter dem Dach der Europäischen Stiftung zur Untersuchung
chronischen Leberversagens durchgeführt wurde, hat erstmals drei klinische
Verlaufsvarianten von Patienten bestimmt, die mit einer akuten Dekompensation
der Leberzirrhose ins Krankenhaus eingeliefert wurden.
1. Die
erste klinische Verlaufsvariante zeichnet sich durch hohe
Entzündungswerte im Blut aus, die Entzündungsreaktionen überall im Körper anzeigen.
Innerhalb von drei Monaten nach Einlieferung ins Krankenhaus versagen mehrere
Organe des Körpers: Die akute Dekompensation wird zu einem
„Akut-auf-chronischen Leberversagen“ (ACLF). Daher benannten die Mediziner
diese Variante als Pre-ACLF. Mehr als die Hälfte der Patienten versterben
daran, nach einem Jahr lebt nur noch ein Drittel von ihnen.
2. Die
Patienten der zweiten klinischen Verlaufsvariante entwickeln kein ACLF
und haben moderate Entzündungswerte, leiden aber unter einem deutlich erhöhten
Pfortader-Blutdruck. Rund 20 Prozent von ihnen sterben innerhalb der folgenden
drei Monate, weitere 15 Prozent innerhalb des Folgejahres. Diese Variante
nannten die Mediziner „instabile dekompensierte Leberzirrhose“.
3. Keine
schweren Entzündungswerte oder häufige Komplikationen zeigen Patienten der dritten
klinischen Verlaufsvariante. Sie entwickeln kein ACLF in den ersten drei
Monaten. Innerhalb eines Jahres verstirbt aber immer noch jeder zehnte von
ihnen. Diese Variante nannten die Mediziner „stabile dekompensierte
Leberzirrhose“.
Studienleiter Prof. Jonel Trebicka, Gastroenterologe und
Hepatologe an der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Frankfurt,
erläutert: „Wir arbeiten jetzt intensiv daran, insbesondere für Gruppe der
Pre-ACLF-Patienten neue diagnostische Möglichkeiten zu entwickeln, um diese
Gruppe noch vor Einlieferung ins Krankenhaus identifizieren und frühzeitig
Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Die Entwicklung präventiver Therapien für
die häufig tödlich verlaufende ACLF ist in diesem Zusammenhang eine unserer
wichtigsten Forschungsaufgaben.“
Prof. Dr. Stefan Zeuzem, Dekan des Fachbereichs Medizin sowie
Direktor der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Frankfurt und
Ko-Autor der Studie, erläutert: „Leberkrankheiten sind einer der
Hauptschwerpunkte der Medizinischen Klinik I, und wir bieten zahlreiche
Spezialambulanzen für Patientinnen und Patienten mit akuten und chronischen
Lebererkrankungen an. So konnten wir einerseits Patienten für die Studie
beobachten. Auf der anderen Seite kommen die Forschungsergebnisse zur
Verbesserung von ACLF-Prävention und Therapien sehr rasch unseren und allen
Patientinnen und Patienten zugute.“
Die Forschungsergebnisse sind Teil der europaweiten Studie namens
PREDICT. Die Studie beobachtet den klinischen Verlauf akuter Dekompensationen
der Leberzirrhose, um frühe Anzeichen für die Entwicklung Akut-auf-chronische
Leberversagen (ACLF) zu finden. Die Studie wird von der Europäischen Stiftung
zur Untersuchung chronischen Leberversagens (European Foundation for the Study
of Chronic Liver Failure) gefördert. An PREDICT sind 136 Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler von 47 Zentren und Institutionen in 14 europäischen Ländern
beteiligt.
Publikation: Jonel
Trebicka, Javier Fernandez, Maria Papp, Paolo Caraceni, Wim Laleman, Carmine
Gambino, et al.: The PREDICT study uncovers three clinical courses of
acutely decompensated cirrhosis that have distinct pathophysiology. Journal
of Hepatology, https://doi.org/10.1016/j.jhep.2020.06.013
Weitere Informationen:
Universitätsklinikum
Frankfurt, Goethe-Universität Frankfurt
Medizinische
Klinik I
Univ.-Prof. Dr. Dr. med. Jonel Trebicka
Sektion
Translationale Hepatologie,
Medizinische
Klinik I (Direktor: Univ.-Prof. Dr. med. Stefan Zeuzem)
Goethe
Universität/Universitätsklinikum Frankfurt
Tel.
+49 (0)69 6301 80789 (Jennifer Biondo, Sekretariat)
Jonel.Trebicka@kgu.de.